„Kultur in Europa – Kultur für Europa!“

am 30. März 2017 um 19 Uhr 

in der Freien Akademie der Künste, Klosterwall 23, 20095 Hamburg

 

Knut Fleckenstein, Mitglied des Europäischen Parlaments

Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Professor für Philosophie und politische Theorie, Staatsminister a.D.

Sir Jeffrey Tate, Chefdirigent der Symphoniker Hamburg

Gesprächsleitung: Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Kulturforum Hamburg

Fotos: Günther von der Kammer

 

Die Idee vom einheitlichen Europa erntet heute zunehmend Skepsis. Nationalismen und Finanzkrisen gefährden den Zusammenhalt. Kann Kultur Brücken bauen zwischen den Nationen und eine europäische Identität hervorbringen?

Trotz der akuten Probleme sehen die Podiumsredner optimistisch in die Zukunft. Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Professor für Philosophie und politische Theorie, sieht auch positive Entwicklungen. In Frankreich werde voraussichtlich ein pro-europäischer Präsident gewählt und in England sei sich die junge Generation ihrer politischen Verantwortung bewusst, Brexit hin oder her. Europa stecke, so Nida-Rümelin, nicht das erste Mal in einer Krise. Doch sei es gerade jetzt sinnvoll, den Fokus auf Kultur zu legen und sich sowohl zu fragen, wie Demokratie funktioniert, als auch zu überlegen, welche Rolle dabei der Kultur zukommt. Es sei eine „sympathische liberale Auffassung, dass Politik am besten funktioniert, wenn sie sich gegenüber kulturellen Identitäten neutral verhält.“

Demokratie beruht auf starken kulturellen Prämissen und Bedingungen. Und das europäische Projekt steht und fällt mit diesen kulturellen Bedingungen. Diese, davon ist Nida-Rümelin überzeugt, befinden sich deshalb in starker Erosion, weil Europa sich monozentrisch auf die US-amerikanische popkulturelle Prägung ausrichtet. Dabei ist Europa der reichhaltigste Kulturraum der Welt. Wieso also ist es nicht gelungen, diese europäische Identität, die zu Zeiten eines Johannes Kepler selbstverständlich war, zu erhalten? Die Nationalstaaten sind immerhin gerade erst einmal 200 Jahre alt. Wer soll die Versäumnisse aufholen? Nida-Rümelin: „Da kann nicht ein Akteur benannt werden. Wir alle müssen uns fragen: Was ist uns wichtig?“

Was den englischen Künstlern wichtig ist, weiß Sir Jeffrey Tate. Nach seinen Erfahrungen sind sie über den Brexit entsetzt und finden die Idee der Abgrenzung absurd. Der Chefdirigent der Symphoniker Hamburg sieht eine Antwort darauf, wie man die europäische Idee erneut stärken kann, in der Bildung. Alle Nationen müssten in den Bildungseinrichtungen lehren, was es bedeutet, Westeuropäer zu sein. Denn Europa basiere nicht auf der Idee eines Marktes, sondern vor allem auf der Idee von Frieden und Freiheit. Für Sir Jeffrey Tate bedeutet Kultur neben der Kunst vor allem Sprache – denn nur wer Fremdsprachen lernt, kann sich mit anderen Nationen austauschen. Nida-Rümelin bekräftigt, dass Widerstand gegen den Brexit unter anderem von in Austauschprogrammen Studierenden kommt. Die Bologna-Reform sollte ihnen ein europaweites Studieren ermöglichen, sie ist eines der großen Projekte kultureller Integration.

 

Der Europa-Abgeordnete Knut Fleckenstein (SPD) gibt zu bedenken, dass nicht nur die Kulturpolitik, sondern auch die Sozialpolitik ein immer wichtigerer Aspekt für ein geeintes Europa werde. Er fordert eine Kultur der Solidarität und sieht einen wesentlichen europäischen Misserfolg in der Frage des Umgangs mit Flüchtlingen. Dennoch ist auch er insgesamt optimistisch: „Es tut sich etwas, es wird nicht mehr nur lamentiert.“

Wie erleben Bürger das europäische Parlament? Es ist zu weit vom Einzelnen entfernt, gerade der Brexit macht deutlich, dass viele Europäer oder in diesem Fall Noch-Europäer, mit einem Gefühl des Kontrollverlustes zu kämpfen haben. Knut Fleckenstein fordert klarere, demokratischere Regeln für das Europaparlament, welches vor allem dadurch, dass es nur reagieren, nicht aber agieren dürfe, in seinen Möglichkeiten extrem gehemmt sei. Auch sieht er es als höchst kritisch, dass im Europaparlament Vertreter von Ländern sitzen, die persönlich eine antieuropäische Gesinnung hegen.

 

Viele der rund 120 Besucher beteiligten sich an der Publikumsdiskussion. Dabei ging es auch um allgemeine Fragen zur Europapolitik. Die Forderung des Kulturforums Hamburg, in grenzüberschreitender Allianz von Künstlern, Philosophen und Kulturpolitikern ein Konzept für die Ausprägung einer europäischen kulturellen Identität zu entwickeln – so formuliert in einem Offenen Brief an Martin Schulz und Sigmar Gabriel als Ergänzung zu deren 10-Punkte-Plan „Europa neu denken“ – fand große Zustimmung. Nida-Rümelin wies darauf hin,  dass  die Intellektuellen der europäischen Nationen aufgerufen seien, sich zusammenzutun, um gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Denn dass wenige viel in Gang bringen können, zeige das Beispiel des französischen Denkers Rousseau, der mit seinen Überlegungen und Reden maßgeblich die Französische Revolution von 1789 in Gang brachte.

 

DemTrend, das christliche Abendland gegen die Einflüsse anderer Kulturen zu verteidigen, müsse die Überzeugung entgegengesetzt werden, dass  Einwanderung eine kulturelle Bereicherung sei. Migration fordere von Europa, sich bei allen Unterschieden auf die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren und eine europäische kulturelle Identität zu entwickeln. (Anne Simone Krüger)