„Maulkorb statt Meinungsfreiheit - zur Lage der Medien in der Türkei“
Donnerstag 15. September 2016, 19 Uhr
Internationale Kulturfabrik Kampnagel, Jarrestraße 20, 22303 Hamburg
Die Nachrichten aus der Türkei sind besorgniserregend. Haben wir zu Beginn des Jahres noch über Satire(freiheit) und Böhmermann diskutiert, so sind nach den jüngsten Entwicklungen Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei in ihrem Kernbestand gefährdet. Mehr und mehr steht dabei Präsident Erdoğan, weniger die Türkei im Fokus. Nach dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016 reagiert Präsident Erdoğan mit der Entlassung zehntausender Staatsbediensteter – darunter viele Richter und Lehrer – sowie der Schließung von Redaktionen und der Verhaftung von Journalistinnen und Journalisten. Sogar die Einführung der Todesstrafe wird diskutiert. Was nun? Was tun?
In einer gemeinsamen Veranstaltung luden das Kulturforum Hamburg, Unternehmer ohne Grenzen e.V. und der Deutsche Journalisten Verband Hamburg (DJV) zur Diskussion ein.
Auf dem Podium:
Ahmet Külahçı (Hürriyet)
Dr. Frank Überall (DJV-Bundesvorsitzender)
Amke Dietert (Amnesty International)
Moderatorin: Hans-Jürgen Börner (freier Journalist, zuvor NDR)
Foto: Stefan Endter
In seiner Keynote schilderte Prof. Dr. Frank Überall (Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands) zunächst seine persönlichen Eindrücke von der Lage der oppositionellen Medien in der Türkei. Noch zwei Tage vor dem Putschversuch hielt er sich in Istanbul auf, um vor Ort Kollegen und Kolleginen zu besuchen und deren Situation zu erkunden. Seitdem wurden etwa 115 JournalistInnen festgenommen. Doch auch schon vorher gehörte die Angst vor Repressalien und Einschüchterungsversuchen - Vorgehen gegen die Pressefreiheit - zum risikobehafteten Berufsalltag von Medienvertretern in der Türkei. Dr. Frank Überall rief zur Solidarität des DJV für seine KollegInnen im Ausland auf. Das sei wichtig,um eine nachhaltige Opposition und Berichterstattung aufrechtzuerhalten.
Amke Dietert (Amnesty International) bestätigte diese Lagebeschreibung und versuchte mit weiteren Zahlen ein umfassenderes Bild zu zeichen. Seit dem Putschversuch gegen Präsident Erdoğan wurden laut Regierungsangaben 45 Zeitungen, 16 Fernsehsender, 23 Radio-Stationen und drei Nachrichtenagenturen geschlossen, JournalistInnen wurden zur Fahndung ausgeschrieben. Eine weitere Konsequenz des derzeitigen Ausnahmezustandes ist, dass Festnahmen, oftmals ohne Angabe eines Grundes, mit bis zu 30 Tagen Gewahrsam möglich sind bevor die Verhafteten einem Haftrichter vorgeführt werden müssen. Nach Angaben des türkischen Innenministeriums hat die Polizei bisher circa 16.000 Menschen festgenommen, der Großteil davon sind Militärangehörige, aber auch Richter, Staatsanwälte und JounalistInnen. Gegen mehr als die Hälfe wurde Haftbefehl erlassen. Zehntausende Staatsbedienstete wurden seither suspendiert.
Ahmet Külahçı von der in Deutschland erscheinenden türkischsprachigen Zeitung Hürriyet konnte diesem dunklen Bild leider nichts entgegensetzen. Auch nach früheren Putschversuchen seien schon JournalistInnen festgenommen und oft grundlos viele Jahre in Gefängnissen festgehalten wurden - ein Schicksal, das einen seiner türkischen Kollegen in der 80er Jahren für drei Jahre ins Gefängnis brachte. Nach seiner Entlassung verließ dieser das Land und erhielt politisches Asyl in Deutschland. « Türkische JounalistInnen sind nicht gegen ihr Land, sondern gegen die türkische Regierung. »
« Nach der dramatischen Lagebeschreibung stellt sich die Frage, welche Maßnahmen von Deutschland aus ergriffen werden können », wollte Moderator Hans-Jürgen Börner von den Diskussionsteilnehmern wissen.
Frank Überall forderte eine verstärkte Information der Öffentlichkeit über die Geschehnisse
Amke Dietert rief zu einer breiten Kampagne gegen die Verfolgung von JournalistInnen aus, wie es beispielsweise in der gemeinsamen Petition für Meinungsfreiheit "Free Words Turkey" formuliert ist (Zusammenschluss aus Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der deutschen PEN, Reporter ohne Grenzen). Doch bringt das wirklich etwas?
Ahmet Külahçı gab zu bedenken, dass die EU und die westlichen Länder insgesamt nur noch wenig Einfluss auf die türkische Politik ausüben könnten. Doch laut Frank Überall bringt auch eine kleine Bewegung etwas. Kritische Wortmeldungen kämen in der Türkei an. Das Problem sei die Machtkonzentration auf Präsident Erdoğan. Er hat die Pressefreiheit nahezu kaputt gemacht.
Amke Dietert wies auf die Reformbewegungen hin, die zu Beginn von der Partei AKP ausgingen, jedoch nach etwa 10 Jahren zum Stillstand bzw. zum Rückschritt kamen. Sie kritisierte ebenfalls, dass man die regierungsnahe Presse nicht erreichen könne, da sie jedwede Äußerung ausschließlich negativ und gegen sich gerichtet auffassen würde.
Hans-Jürgen Börner sprach die Möglichkeit an, verfolgte JournalistInnen in den deutschen Medien zu Wort kommen zu lassen. Diese Idee werde schon mehrfach umgesetzt, berichtet Frank Überall, zum Beispiel in einer Serie von Gastbeiträgen in der Süddeutschen Zeitung. Doch gebe es in der Gesamtbetrachtung so viele wichtige Themen, über die die Medien berichten müssten, dass man sich nicht so sehr auf einen Bereich konzentrieren könne. In Einzelfällen könne die kritische Berichterstattung in Deutschland aber etwas im Ausland bewirken, was er an einigen Bespielen belegt. Ebenso wichtig findet er aber auch das Gespräch hinter den Kulissen, den Austausch mit Politikern, um sie für bestimmte Themen zu sensibilisieren.
Nach Ansicht von Ahmet Külahçı könnten zivilgesellschaftliche Vereine und Verbände eher etwas erreichen als die Politik. Es gebe in der Türkei noch JournalistInnen, die unabhängig schreiben könnten, aber unter welchem Risiko? Külahçı fordert die Einhaltung von universellen Grundrechten, zu denen auch Meinungs- und Pressefreiheit gehörten. Seit dem Putschversuch auf Erdoğan wurden zehntausende Personen aus dem Staatsdienst entlassen. Es stellt sich nun die Frage wie sie sich zukünftig gegenüber der türkischen Regierung verhalten werden.
Wie arbeitet Amnesty International außerhalb der Öffentlichkeit ? wollte Hans-Jürgen Börner wissen. Amke Dietert erläuterte, dass beispielsweise gezielt Berichte für UN-Kommissionen, UN-Berichterstatter, politische Gremien oder Regierungen zu Themen wie Pressefreiheit erstellt werden. « Wenn es aber darum geht, eine bestimmte Person frei zu bekommen, gibt es keinen festen Weg. In konkreten Einzelfällen engagieren sich manchmal Politiker, aber auch das klappt nicht immer ».
Die Diskussion regte auch das Publikum zu vielen Fragen und Kommentaren an. Ein Besucher vermisste in den Medien bestimmte Informationen, etwa über die Gülen-Bewegung, den vermeintlichen Feind Erdoğans. Amke Dietert konnte da mit Hintergrundinformationen aushelfen. Es wurde aber auch an die Eigenverantwortung der Medienkonsumenten appelliert, sich selbst zu hinterfragen, wie und wo man sich informiere.
Die Anregung aus dem Publikum, die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei wieder aufzunehmen, befürwortete auch Jounalist Ahmet Külahçı. Dies sei wichtig, um eine Isolation des Landes zu verhindern. Warum viele türkischstämmige Menschen in Deutschland hinter Erdoğan stehen, wurde weiter gefragt. Laut Külahçı fühlen sich viele in Deutschland geborene Türken immer noch nicht in Deutschland akzeptiert, ja sogar diskriminiert. Manche aus dem Publikum wollten das so nicht stehen lassen. Külahçı führte mangelnde Karriereaussichten und die von Deutsch-Türken empfundene Integrationsschwäche der Deutschen an.
Ein Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen würde nicht dazu beitragen, diese Menschen zu gewinnen, sondern im Gegenteil nur dazu führen, dass die EU ihren Einfluss in der Türkei ganz verliert und die Hoffnungen der türkischen Bevölkerung enttäuscht werden. Diese seien eh schon verhandlungsmüde geworden, so Külahçı.
Wie steht es mit der Informationsfreiheit in der Türkei, wollte eine Teilnehmerin aus dem Publikum wissen. Haben die Menschen die Möglichkeit, auf unabhängige Berichterstattung zuzugreifen? Hat sich die Kommunikation ins Internet, in soziale Netzwerke oder Online-Foren verlagert und wie kann man das von Deutschland aus stärken?
Die türkische Bevölkerung hat Zugang zum Internet, schilderte Ahmet Külahçı, aber eher in den Großstädten als auf dem Land. Öffentliches Fernsehen sei nicht überall verfügbar.
Nach Frank Überalls Einschätzung können soziale Netzwerke nur eine Teilöffentlichkeit repräsentieren und werden teilweise durch die türkische Regierung blockiert. Eigentlich sei es Aufgabe der Massenmedien, die Öffentlichkeit zu informieren, Die meisten türkischen Medien gehören jedoch großen regierungsnahen Mischkonzernen, die auch in anderen Wirtschaftssektoren wie Energie, Bau oder Finanzen tätig sind. Um sich lukrative Staatsaufträge zu sichern, vermeiden Journalisten eine kritische, gegen die Regierung gerichtete Berichterstattung. Gleichzeitig unterschlagen sie Informationen über eigene Großprojekte wie den Bau des ersten Atomkraftwerks in der Türkei.
Selbst die journalistische Kritik in Deutschland wird von der Türkei innenpolitisch instrumentalisiert. Die Strategie Erdoğans ist es, die Kritik an seiner Person als Kritik an der Türkei schlechthin darzustellen. und man müsse sich vorher überlegen, was man berichtet, erklärte Frank Überall. Er konnte bisher nur eine negative Kenntnisnahme beobachten und sieht die Herausforderung darin, zukünftig nach einem Weg der positiven Zusammenarbeit zu suchen.
Doch auch die deutschen Medien erzeugen durch eine einseitige Berichterstattung oftmals ein falsches Bild. Es findet eine zu starke Fokussierung auf Präsident Erdoğan statt. Als Beispiel wurde die Großdemonstration in Köln angeführt, die kurz nach dem gescheiterten Militärputsch stattfand, eine Demonstration für Demokratie, Menschenrechte, freie Berichterstattung und eine unabhängige Justiz und keine « Pro- Erdoğan »-Kundgebung, wie es fälschlichweise in vielen Medien dargestellt wurde. Neben der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die die islamisch-konservative Partei AKP unterstützt, nahmen auch viele Vereine, Verbände und Migrantengesellschaften - auch von linken Gruppen, die in Opposition zu Erdoğan stehen - daran teil. Alle Podiumsteilnehmer plädierten für eine differenzierte Berichterstattung. Nur sei fraglich, ob die Medien das überhaupt leisten und die Konsumenten dies aufnehmen könnten.
Fazit des Abends : Geduld, Engagement, Dranbleiben und Weitermachen im Kampf um Presse- und Meinungsfreiheit.
(Marita Landgraf)